Zwangsgedanken / Zwangsimpulse –

was ist das und wie gehe ich damit um?

Grundinformationen:

  • Zwangsgedanken = reine Denkinhalte, die sich immer wieder aufdrängen
  • Zwangsimpulse = sich wiederholende impulsive Befürchtungen, eine anfallsartige Handlung auszuführen
  • Zwangshandlungen = wiederholt ausgeführte Handlungen zum Abbau innerer Anspannung und Angst

In diesem Fachtext werden nur Zwangsgedanken und Zwangsimpulse behandelt. Zur besseren Lesbarkeit und Übersichtlichkeit beschränke ich mich im folgenden Text auf den Begriff Zwangsgedanken – gemeint sind jedoch immer Zwangsgedanken und Zwangsimpulse.
Das Thema Zwangshandlungen wird später in einem eigenen Beitrag berücksichtigt, da diese ein eigenes Gebiet umfassen.

Zwangsstörung

Die Ursachen für Zwangsstörungen sind multifaktoriell. Hier gibt es lerntheoretische und kognitive Aspekte wie auch psychodynamische Theorien. Kurz: die Ursachen können sehr vielfältig sein und sind immer individuell zu betrachten.

Was genau sind Zwangsgedanken?

Unter Zwangsgedanken werden Gedanken, Vorstellungen oder Impulse verstanden, die sich dem Betroffenen gegen seinen Willen aufdrängen und ihn übermäßig beschäftigen. Sie können alltäglichen Gedanken und Befürchtungen ähneln, haben jedoch eine deutlich intensivere Qualität. Oftmals handelt es sich um grotesk-bizarre, rational schwer nachvollziehbare Gedanken. Sie werden vom Betroffenen als unsinnig erkannt und als quälend empfunden.

Zwangsgedanken bewegen sich in der Regel in wiederkehrenden Themen. Typische Themen sind unter anderem

  • Sorge vor Ansteckung – z. B. „Wenn ich diese Türklinke anfasse, erkranke ich wohlmöglich schwer und verbreite diese Krankheit auch noch.“
  • Sorge, jemanden zu schaden – z. B. „Wenn ich jetzt mit dem Auto fahre, könnte ich wohlmöglich jemanden überfahren“ oder „Ich habe bestimmt schon jemanden mit dem Auto angefahren und schwer verletzt und es nicht bemerkt.“
  • Aggression – z. B. “ Ich könnte einem geliebten Menschen wohlmöglich Gewalt antun.“
  • Sorge vor peinlichen Situationen – z. B. „Wenn ich jetzt zum Einkaufen gehe, brülle ich wohlmöglich Obszönitäten.“ oder „Wenn ich gleich in die Besprechung gehe, reißen alle Kleidungsnähte und ich stehe völlig nackt da.“
  • Spontane Befürchtung, sich selbst zu töten – z. B. „Ich könnte mich jetzt von diesem Turm stürzen.“

Ganz wichtig erscheint mir festzustellen, dass Zwangsgedanken im absoluten Gegensatz zum Charakter der Betroffenen stehen und gegen das, was ihnen lieb und teuer ist.

Wenn Sie jetzt glauben, um ein gutes Leben führen zu können, müssen diese Zwangsgedanken auf nimmer Wiederwahrnehmen verschwinden, dann habe ich jetzt eine nicht so gute Nachricht: Wir alle können unsere Gedanken nicht kontrollieren. Also auch nicht diese großen Hirngespinste, die eigentlich nur kleine Plagegeister sind. Sie können lernen, gut damit umzugehen – wegzaubern lassen sie sich jedoch leider nicht.

Ein passendes Bild ist aus meiner Sicht ein aufgepusteter Luftballon, den wir unter Wasser drücken wollen – irgendwann kommt er wieder hoch. Oder: Denken Sie jetzt bitte nicht an eine gelbe Zitrone! Was passiert gerade vor Ihrem inneren Auge? Eben – Sie können es nicht kontrollieren, der Gedanke an die Zitrone kommt völlig unaufgefordert einfach hoch wie der Luftballon aus dem Wasser wieder hochkommt.

Gedanken führen ein Eigenleben und Zwangsgedanken sind niemals vernunftgeleitet. Die Betroffenen haben meist eine blühende Fantasie und daher wirken die Zwangsgedanken irgendwie real obwohl sie es tatsächlich nicht sind. Ganz im Gegenteil: sie sind bizarr, grotesk, unsinnig und werden auch so erkannt. Und gerade das macht es für die Betroffenen so quälend. Sie gehen dagegen an und leisten kräftezehrenden inneren Widerstand. Sie schämen sich für ihre zwänglichen Gedanken und verschweigen sie.

Indem sie die Gedanken wie durch eine Art Sittenpolizei zu kontrollieren versuchen, bewirken sie genau das Gegenteil: die Gedanken kommen häufiger und wirken immer störender. Wie der Luftballon aus dem Wasser, schießen auch immer wieder die Gedanken an die Oberfläche. Aus Scham und Angst ziehen sich die Betroffenen immer mehr aus ihrem sozialen Umfeld zurück und drohen zu vereinsamen. Oftmals dauert es Jahre, bis ein Betroffener Hilfe in einer ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxis sucht.

Tatsächlich sind schlimme Gedanken völlig normal. Unser menschliches Gehirn neigt dazu, negative oder ungewollte, unsinnige Gedanken zu produzieren. So ist es beispielsweise durchaus nicht selten, dass jemandem oben auf einem Turm stehend der Gedanke kommt, sich jetzt herunterstürzen zu können. Bei einem Menschen ohne Zwang und Angst wird dieser Gedanke jedoch sehr schnell zu einer kalten Gedächtnisspur. Doch unter Angst kommen schnell weitere Gedanken wie „Was habe ich gerade da gedacht? Würde ich das wohlmöglich in die Tat umsetzen? Kann ich mich noch auf mich selbst verlassen? Kann ich je wieder in so eine Situation gehen?“.

Nun aber die gute Nachricht: Betroffene können lernen, mit ihren Zwangsgedanken gut umzugehen und so endlich ihr Leben zu leben. Wir haben zwar wenig Kontrolle über unsere Gedanken, aber wir haben Kontrolle über unsere Handlungen! Betroffene können durchaus in eine wertgeschätzte Richtung gehen und tun, was sie tun möchten.

Hierzu ein paar Tipps:


1. Akzeptanz
Akzeptiere, dass du diese unangenehmen und mit unangenehmen Gefühlen verbundenen Gedanken hast, denn sie sind schlichtweg ein Teil von dir. Mache dir klar und sage es laut: „Ich bin trotz dieser Gedanken in der Lage, mein Leben gut zu leben!“

2. Abstand
Gewinne Abstand vom Gedankeninhalt. Es ist etwas völlig anderes zu denken „Ich könnte gleich wohlmöglich in der Öffentlichkeit etwas Obszönes ausrufen“, als zu wissen, dass dies tatsächlich geschieht. Sage dir immer wieder „Das bin nicht ich, das ist mein Zwangsgedanke!“

3. Erkennen und Benennen
Sobald du einen Zwangsgedanken wahrnimmst, atme ein-, zweimal tief ein und aus, versuche dich zu entspannen (siehe auch Punkt 10) und betrachte deinen Gedanken ganz bewusst. Sage dir: „Ah, ich habe gerade wieder einen Zwangsgedanken zum Thema XXX“. In diesem Augenblick nimmst du dem Gedanken seine Macht. Vielleicht schaffst du es sogar, ein wenig darüber zu lächeln.

4. Bildhafte Vorstellung
Stelle dir eine lustige Figur für deinen Zwangsgedanken vor – vielleicht ein quietschegelbes Kaninchen – und erkläre dieser Figur und somit deinem Gedanken, dass du sie gerade nicht gebrauchen kannst. Schicke diese Figur weg und mache weiter mit dem, womit du gerade beschäftigt bist.

5. Singen/ Humor
Singe deinen Gedanken auf der Melodie eines fröhlichen Liedes, z. B. auf „Jingle Bells“ oder „Auf de schwäb’sche Eisenbahne“ oder ähnliches. Oder spreche deinen Zwangsgedanken mit einer lustigen Stimme wie z.B. der von Donald Duck oder Darth Vader laut aus. Das hilft und schafft Distanz.

6. Theater
Stell dir vor, du sitzt in einem heruntergekommenen Theatersaal und zwei grottenschlechte Schauspieler spielen deine Zwangsgedanken als Schauspiel auf der Bühne. Du musst gähnen, denn es ist einfach absolut langweilig. Du stehst auf und gehst.

7. Spiegelübung
Stell dich vor den Spiegel, nimm eine selbstbewusste, aufrechte Körperhaltung ein und sage dir
drei Mal „Ich liebe mich (bedingungslos) – auch mit meinen Zwangsgedanken.“ Wenn dir das anfangs zu viel ist, versuche es zunächst mit „Ich mag mich und ich bin gut genug.“ Mache diese Übung mindestens dreißig Tage lang hintereinander mindestens drei Mal am Tag.

8. Sinne für anderes öffnen
Richte deine Aufmerksamkeit nach außen. Mache vielleicht einen Spaziergang oder was auch immer dir Spaß macht. Was siehst du? Was hörst du? Was riechst du? Was spürst du auf deiner Haut?

9. Bleibe wunderbar unperfekt
Gestehe dir und deinen Mitmenschen Fehler zu. Wir sind nicht gut, nur wenn wir Gutes tun, und wir sind nicht schlecht, nur weil mal etwas nicht gut gelaufen ist.

10. Lerne ein Entspannungsverfahren
Progressive Muskelentspannung nach Jacobson und Autogenes Training nach Schultz eignen sich hervorragend, um die körperliche und geistige Anspannung abzubauen. Aber auch Yoga und Qui Gong können dabei helfen.

11. Gedankenstopp
Wenn du merkst, dass sich Gedanken aufzwängen, kannst du die Gedankenstopp-Methode Hierbei unterbrichst du abrupt den Gedanken, indem du dir laut „Stopp!“ sagst und dir ein Stopp-Schild vorstellst. Da diese Methode evtl. nur kurzfristig wirkt, ist es wichtig, direkt im Anschluss eine ablenkende Tätigkeit durchzuführen. Wie es genau funktioniert, ist im Beitrag Gedankenstopp nachzulesen. Diese Technik eignet sich allerdings nur nur bei leichteren, nicht allzu zwänglichen Gedanken.

12. Therapie
Fachlich geschulte Heilpraktiker und Therapeuten können dir unter anderem mit kognitiver Verhaltenstherapie helfen, Gedankenmuster zu analysieren und die mit Zwangssymptomen verbundenen Befürchtungen und Interpretationen zu bearbeiten.

13. Bleibe ruhig
Setze dich nicht unter Druck. Es geht nicht darum, die zwanghaften Gedanken endgültig loszuwerden, sondern darum, ihnen nicht mehr so viel Bedeutung zuzumessen und dein Leben zu leben. Sei glücklich und auch mal traurig, wütend oder ängstlich. Das alles gehört zum Leben dazu.

Welche Vorgehensweise Sie auch wählen (Sie können alle ausprobieren und anwenden), wichtig ist, dass Sie sich folgendes immer wieder ganz bewusst machen: „Ich habe den Gedanken, nicht der Gedanke mich!“ Als ein Mensch mit Zwangsgedanken haben Sie sehr viel mehr Empathie und Toleranz anderen gegenüber, die ähnliche oder sonstige psychische Probleme haben. Lassen Sie sich von Ihren kleinen Plagegeistern nicht Ihr Leben diktieren, sondern bestimmen Sie selbst Ihren Weg.

Wichtiger Hinweis: Dieser Fachtext und die Tipps ersetzen nicht den Besuch in einer fachärztlichen Praxis. Sollten Sie über mehr als zwei Wochen an den meisten Tagen quälende Zwangsgedanken bei sich wahrnehmen, suchen Sie bitte in jedem Fall eine Fachärzt*in auf. Nur diese*r ist in der Lage, mögliche andere Erkrankungen auszuschließen oder festzustellen und kann eine Diagnose stellen. Wenn fachärztlich eine entsprechende Diagnose gestellt wurde und eine Psychotherapie empfohlen wird, wenden Sie sich an eine*n Heilpraktiker*in für Psychotherapie oder psychologische*n  Psychotherapeut*in mit dem Fachgebiet kognitive Verhaltenstherapie. Die oben erwähnten Tipps können Sie dabei wirksam unterstützen.

© Jutta Franke