Jedes Jahr erkranken 1-2 % der Deutschen erstmals an einer Depression. Ca. 5 Mio. Menschen sind in diesem Land depressiv krank – die Dunkelziffer liegt sogar noch höher. Depressionen können in jedem Alter erstmals auftauchen: vom Schulkind- bis zum Rentneralter. Die Ausprägungen der Erkrankung können allerdings sehr unterschiedlich sein. So ist eine echte Depression auch nicht zu verwechseln mit einer depressiven Verstimmung (siehe hierzu auch meinen Beitrag Depressive Verstimmung oder Depression – wo liegt der Unterschied?).
Depressionen treten oft wiederholt und in Phasen auf, daher sprechen Fachleute von depressiven Episoden. Auch die Ausprägung der depressiven Episode wird unterschieden in leichte, mittelgradige und schwere depressive Phasen mit oder ohne körperliche Begleitsymptome. Und: Depression ist definitiv eine Krankheit. Das heißt, sie muss behandelt werden.

Wie auch ein gebrochenes Bein gerichtet und behandelt werden muss, so braucht auch eine gebrochene Seele Unterstützung und Behandlung. Beides braucht Zeit und Geduld, um zu heilen.

Wie das Wort „Episode“ schon sagt, sind Depressionen in der Regel vorübergehend. Sie sind durch Fachkräfte gut zu behandeln und die Heilungschancen sind groß. Die erste Anlaufstelle ist immer die Arztpraxis. Das muss nicht direkt eine fachärztliche Praxis sein. Auch die*r vertraute Hausärzt*in kann Erstindikation leisten und mit der betroffenen Person besprechen, welcher weitere Weg hilfreich sein kann. Bei einer leichten bis mittelschweren Depression kann eine psychotherapeutische Behandlung sehr gut helfen. Spätestens aber ab einer schweren depressiven Episode ist eine vorübergehende medikamentöse Unterstützung meist notwendig. Sie sollte jedoch möglichst nur eine kurzzeitige Hilfe sein, um sich für eine Psychotherapie motivieren zu können. Tabletten alleine können auf Dauer definitiv nicht helfen, daher ist eine zumindest begleitende Psychotherapie unbedingt angeraten. Es gilt, mit fachlicher Hilfe die trüben und pessimistischen Gedanken des Betroffenen umzustrukturieren und so wieder Licht in sein Leben zu bringen und ggfs. einzunehmende Antidepressiva baldmöglichst absetzen zu können.        

Wie erkenne ich, dass jemand, der mir nahesteht, möglicherweise depressiv ist?

Es gibt aus psychologischer Sicht einige entscheidende Symptome. Angehörige sollten die Möglichkeit einer Depression in Erwägung ziehen, wenn die betroffene Person über mindestens zwei Wochen anhaltend

 

  • bisher gern gemachte Tätigkeiten lustlos ablehnt
  • von starken Schuldgefühlen und Hoffnungslosigkeit spricht
  • keine Freude mehr empfindet
  • teilnahmslos und lethargisch wirkt, sich zurückzieht
  • oft weint
  • sich selbst vernachlässigt (ungepflegtes Aussehen, mangelnde Körperhygiene)
  • reizbar ist und grundlos aggressiv reagiert

 

  • wenig isst, sichtbar Körpergewicht verliert
  • über Schlafstörungen und ggf. sehr frühes Wachwerden am Morgen klagt
  • ständig müde ist
  • keine Lust mehr am Sex hat
  • über körperliche Beschwerden klagt, für die es keine medizinische Begründung gibt (z. B. Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühle…)
  • davon spricht, sich das Leben zu nehmen

Es kommen in der Regel nicht alle genannten Wesensveränderungen vor. Aber wenn mindestens vier davon über mehr als zwei Wochen hinweg deutlich wahrgenommen werden, ist der Gang zur Arztpraxis und / oder psychotherapeutischen Praxis dringend angeraten.

Ist die betroffene Person dann in Behandlung, verändert sich auch für die Angehörigen noch so einiges. Auch diese brauchen meist zumindest kurz eine therapeutische Begleitung in Form einer sogenannten Psychoedukation. Hier vermitteln Therapeut*innen, was es mit der Erkrankung auf sich hat und wie Sie sich als nahestehende Person am besten verhalten und auch selbst schützen. Es nützt nämlich nichts, wenn Sie sich selbst hingebungsvoll ganz auf den Erkrankten einlassen, Ihre eigenen Bedürfnisse jedoch außer Acht lassen.

Es ist die Krankheit der betroffenen Person – lassen sie sie nicht zu ihrer werden. 

10 Tipps für Angehörige und Freunde


1. Bleiben Sie geduldig

Menschen mit Depressionen fordern ihren Mitmenschen sehr viel ab. Doch sie können sich eben nicht einfach mal so aus ihrem tiefen schwarzen Loch befreien – so liebend gerne sie es auch würden. Es braucht Zeit und ganz viel Geduld. Die Schritte, die gegangen werden können, sind klein. Manchmal hilft es schon, Hinweise zu geben wie z. B. ein Duschgel und Handtuch bereitzulegen, damit die betroffene Person sich wieder einmal seinem Äußeren zuwendet.

2. Haben Sie keine Kontakt-Hemmungen

Sie ahnen, dass jemand in Ihrem nahen Umfeld depressiv erkrankt ist und sind verunsichert, ob Sie die Person ansprechen sollen? Depression ist eine Krankheit – jemandem mit einem Gipsbein würden Sie doch auch nach seinem Befinden fragen. Bleiben Sie authentisch und sprechen Sie an, was Sie wahrnehmen. „Du siehst aus, als gehe es dir nicht gut. Was ist los?“, wäre eine Möglichkeit. Einfach die Bereitschaft zu vermitteln, Gesprächspartner*in zu sein, hilft enorm. Sofern noch nicht geschehen, können Sie die Person vielleicht ermuntern, sich therapeutische Hilfe zu suchen.

3. Akzeptieren Sie, dass es dem Betroffenen schlecht geht.

Sätze wie „Reiß dich zusammen“ oder „Anderen geht es noch viel schlimmer“ helfen nicht nur nicht, sie verstärken die ohnehin schon vorhandenen Schuldgefühle und machen es somit sogar noch schlimmer. Akzeptieren Sie ohne Vorbehalte, dass es der betroffenen Person schlecht geht und sie Hilfe braucht. Und versuchen Sie nicht so zu tun, als verstünden Sie, wie es ist in so einem tiefen Loch zu stecken. Wer noch nie unter einer Depression gelitten hat, weiß definitiv nicht, wie es ist. Leiden Sie nicht mit, aber fühlen Sie mit!

4. Unterstützen Sie die betroffene Person, sich Hilfe zu suchen

Dieser Punkt ist heikel, aber sehr wichtig. Wenn die betroffene Person bereits länger nur noch niedergeschlagen ist und sich zu nichts mehr aufraffen kann, braucht sie die geduldige, immer wieder wiederholte Ermutigung, eine Arztpraxis aufzusuchen. Das kann durchaus di*er vertraute Hausärzt*in sein, denn di*er kann die erste Indikation leisten und – sofern nötig – zu einer Facharztpraxis überweisen. Wenn diese erste Hürde einmal genommen ist, fällt es der betroffenen Person leichter, weitere Hilfe anzunehmen.

5. Nehmen Sie es nicht persönlich – Sie sind nicht gemeint

Menschen, die unter Depressionen leiden, ziehen sich zurück. Sie wollen nichts unternehmen und niemanden sehen – auch Sie nicht. Diese Ablehnung wirkt mit der Zeit verletzend. Dennoch seien Sie versichert, dass nicht Sie damit gemeint sind. Hier handelt die Krankheit, nicht die Person. Für Depressive werden einfachste Dinge zu unüberwindbaren Hindernissen. Unter anderem deshalb fühlt sich die*r Depressive als Versager*in und wird von massiven Schuldgefühlen und dem Empfinden der eigenen Wertlosigkeit geplagt. In den besseren Phasen wird sie*r dann auch wieder zugänglicher.

6. Seien Sie für den Betroffenen da ohne sich aufzudrängen

Wie oben schon beschrieben, sind gut gemeinte Ratschläge wirkungslos. Auch wenn ein Betroffener es schafft, Aufforderungen wie „Geh mal wieder unter Leute“ tatsächlich einmal nachzugehen, fühlt er sich damit meist kein bisschen besser. Es hilft jedoch enorm, deutlich zu machen, dass Sie für ihn da sind, wenn er Sie dann doch braucht. Drängen Sie sich nicht auf, sondern vermitteln Sie lediglich wertfreie Akzeptanz und Hilfsbereitschaft. Wenn die betroffene Person sich dann bei Ihnen meldet, halten Sie bitte Ihr Versprechen auch ein! Anderenfalls würde es das Gefühl, nichts wert zu sein, noch verstärken.

7. Bleiben Sie zuversichtlich

Manchmal empfinden auch die Mitmenschen das Gefühl der Ausweglosigkeit. Doch machen Sie sich bewusst: Depression ist eine Krankheit, die gut behandelbar und vor allem auch heilbar ist. Es hilft besser damit umzugehen, wenn Sie sich und dem Betroffenen bewusst vor Augen führen, dass die Erkrankung vorübergeht.

8. Helfen Sie, Entscheidungen zu treffen

Depressive Menschen können oft keine rationalen, logischen Entscheidungen treffen. Hier können Sie helfen, Möglichkeiten nach objektiven Merkmalen abzuwägen. Verschieben Sie aber Entscheidungen zur privaten oder beruflichen Zukunft nach hinten. Die haben erst wieder Raum, wenn es dem Betroffenen deutlich besser geht.

9. Nehmen Sie suizidale Bemerkungen ernst

Wenn die depressive Person davon spricht, nicht mehr leben zu wollen, werden Sie hellhörig. Für  Laien ist es schwer zu unterscheiden, wie ernst es ihr damit ist. Sobald Bemerkungen kommen wie „Ich kann nicht mehr“, „Besser, ich wäre nie geboren worden“ oder „Besser, ich wäre nicht mehr da“, ist das immer ernst zu nehmen. Bleiben Sie bei ihr und reden Sie mit ihr darüber. Allein, darüber sprechen zu dürfen, kann den Suizidgedanken schwächen. Sollten Sie dennoch nur die geringsten Bedenken haben, die*r Betroffene könnte sich selbst etwas antun wollen, holen Sie sich psychologische Unterstützung. Rufen sie die*n behandelnden Ärzt*in oder Therapeut*in oder den Sozialpsychologischen Dienst an. Weitere Notrufnummern finden Sie hier: Adressen für den akuten seelischen Notfall. Sollte sich die Situation dramatisch zuspitzen, scheuen Sie sich nicht, den Rettungsdienst Tel. 112 anzurufen. Bleiben Sie bis zum Eintreffen der Hilfeleistenden bei der betroffenen Person und sprechen Sie beruhigend auf sie ein.

10. Achten Sie auch gut auf sich – und Ihre Kinder

Die negative Stimmung der erkrankten Person neigt dazu, sich auch auf die Mitmenschen niederzuschlagen. Daher ist es sehr wichtig, dass Sie Ihr eigenes Leben möglichst aktiv weiterführen. Treffen Sie sich regelmäßig mit Freund*innen, bewegen Sie sich so oft wie möglich an der frischen Luft, machen Sie Sport bzw. all das, was Ihnen selbst Freude bereitet. Sie können mit der erkrankten Person auch feste Gesprächszeiten ausmachen, in denen Sie ganz für sie da sind. Die übrige Zeit konzentrieren Sie sich jedoch überwiegend auf sich selbst.

Auch Entspannungsverfahren können sehr gut unterstützen und Ressourcen schaffen.
Haben Sie gemeinsame Kinder, dann nehmen Sie diese unbedingt mit ins Boot. Die Erkrankung vor ihnen zu verschweigen, könnte fatale Folgen haben. Ihre Kinder sind sehr feinfühlig, sie bekommen sehr viel mehr mit als Sie vielleicht denken. Sprechen Sie offen mit ihnen darüber, dass der Vater oder die Mutter krank ist, dass es eine schwierige Zeit ist, diese aber irgendwann vorübergeht. Je nach Alter Ihrer Kinder ist es auch ratsam, die Klassenleitung und den schulpsychologischen Dienst hinzuzuziehen. Diese können für notwendige mentale Unterstützung sorgen. Und für Ihre Kinder gilt dasselbe wie für Sie: ermuntern Sie sie zu (körperlichen) Aktivitäten, die ihnen Spaß machen. Sie sollten auch so viel Zeit wie möglich mit anderen Kindern verbringen.
Wird es doch einmal zu viel, scheuen Sie sich nicht, selbst therapeutische Hilfe für sich und ggf. auch für Ihre Kinder zu suchen. Dass es Ihnen und Ihren Kindern so gut wie möglich geht, ist der beste Weg für sich selbst und den Betroffenen durch diese schwere Zeit zu kommen.

Wichtiger Hinweis:

Dieser Beitrag und die Tipps ersetzen nicht den Besuch in der Arztpraxis. Sollten Sie bemerken, dass Sie selbst unter Depressionen leiden, suchen Sie bitte in jedem Fall eine*n eine Ärzt*in auf. Nur diese*r ist in der Lage, mögliche andere Erkrankungen auszuschließen oder festzustellen und eine Diagnose zu stellen. Wenn eine entsprechende Diagnose gestellt wurde und eine Psychotherapie empfohlen wird, wenden Sie sich an eine Praxis für Psychotherapie. Dort erfahren Sie das Verständnis, die Zuwendung und die fachlich fundierte Therapie, die Sie benötigen.

© Jutta Franke